Am zweiten Prozesstag ist das Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladić im UN-Tribunal in Den Haag auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden. Richter Orie begründete die Aufschiebung des Völkermordprozesses mit “Unregelmäßigkeiten”: Die Staatsanwaltschaft habe es versäumt, der Verteidigung alle Beweisstücke rechtzeitig zu übergeben. Damit habe sie die Vorbereitung der Verteidigung auf den Prozess gegen den früheren bosnisch-serbischen Armeechef behindert.
Jetzt kann es möglicherweise Monate dauern, bis die ersten der 413 Zeugen vor Gericht aussagen können. Die Eröffnung des Beweisverfahrens sollte eigentlich am 29. Mai beginnen. Richter Orie kündigte an, so schnell wie möglich ein Datum für die Fortsetzung des Prozesses bekanntzugeben.
Bevor Orie den Prozess bis auf Weiteres aussetzte, beendete die Staatsanwaltschaft die Verlesung der Anklage. Sie warf dem 70-jährigen Mladić unter anderem Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massenvergewaltigungen, unmenschliche Gefangenenlager sowie Terror und Vertreibung vor. Vor allem wird Mladić für das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 verantwortlich gemacht, bei dem etwa 8.000 muslimische Jungen und Männer ermordet wurden. Zudem wird ihm die Verantwortung für die 44-monatige Belagerung von Sarajevo zugeschrieben, bei der 10.000 Zivilisten getötet wurden.
Insgesamt liegen gegen Mladić elf Anklagepunkte vor. “Wir können niemals diesen Horror begreifen”, sagt Staatsanwalt Peter McCloskey bei der Verlesung der Anklage.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat Mladić das Massaker von Srebrenica während des Bosnienkriegs (1992-1995) als Teil einer Kampagne zur “ethnischen Säuberung” in Auftrag gegeben. Der Anklage zufolge gingen die Mladić-Truppen gemeinsam mit Paramilitärs aus dem benachbarten Serbien immer gleich vor: Frauen und Kinder wurden deportiert, die wehrfähigen Männer entweder ermordet oder in Lagern in besonders gefährlichen Kampfzonen zur Arbeit gezwungen. Am Ende beschrieb der Staatsanwalt noch die “Geiselnahme von UN-Blauhelmen” im Frühjahr 1995 und ihren Missbrauch als “menschliche Schutzschilde” gegen Nato-Angriffe. Viele “Friedenssoldaten” seien in Munitionslagern angekettet worden.
McCloskey sagte, die meisten Befehle seien mündlich erteilt worden, dennoch gebe es einige “entscheidende” Dokumente gegen Mladić. Zudem seien einige seiner früheren Gefolgsleute bereit, gegen ihn auszusagen.
Der Militärchef der bosnischen Serben in den neunziger Jahren verhöhnte während der Anklage immer wieder Opfer und Justiz. Er hatte schon bei Anhörungen vor Prozessbeginn die Anklage “monströs und ekelhaft” genannt. Während der Verlesung der Anklage hörte Mladić den Vorwürfen regungslos zu, dann quittierte er Taten mit verneinendem Kopfschütteln oder abschätzigem Lächeln. Einmal richtete er seinen Blick auf Munira Subasic, eine der prominentesten Opfervertreterinnen. Mladić fuhr sich dann mit dem Zeigefinger über den Hals, als wolle er ihr die Kehle durchschneiden.
Mladić sagte, er sei sich nach wie vor seiner “gerechten nationalen Sache” sicher und keiner Schuld bewusst. In Serbien, wo Mladić immer noch als Volksheld verehrt wird, wurde der Beginn des Prozesses von keiner TV-Anstalt übertragen. Mladić war vor gut einem Jahr nach 16 Jahren auf der Flucht in Serbien gefasst worden. (Zeit online)